Gute Geschäftsaussichten, umkämpfter Markt – Die Siemens-Brüder steigen ein

Schnell entwickelt sich das profitable Geschäft mit der Transatlantik-Verbindung zu einem hart umkämpften Markt. Nachdem es dem englischen Baumwollfabrikanten John Pender gelungen ist, die Kontrolle über die bestehenden Kabel zu erlangen, formt er ein Kartell, das er eisern gegen aufkommende Mitbewerber verteidigt.

Angesichts dieser Vormachtstellung wenden sich Investoren Anfang der 1870er-Jahre an die Siemens-Brüder, ob diese nicht ein eigenes „direktes“ Kabel zwischen Deutschland beziehungsweise Großbritannien und den USA verlegen könnten.

Zu diesem Thema schreibt Werner von Siemens 1871 erstmals an seinen Bruder Carl:

Es wird jedoch noch über ein Jahr dauern, bis sich diese Idee konkretisiert, was nicht zuletzt an der Zurückhaltung Werner von Siemens liegt, dem finanzielle Verluste aus einigen früheren Kabellegungen noch sehr präsent sind. 

Anders William und Carl. Sie zeigen sich dem Vorhaben gegenüber wesentlich aufgeschlossener. Das ganze Jahr 1872 über sucht vor allem Carl nach Geldgebern im englischsprachigen Raum – und er hat Erfolg. Trotz aller Vorbehalte aufseiten Werners wird zum Jahreswechsel 1872/73 immer deutlicher, dass die Siemens-Brüder ein Kabel durch den Atlantik verlegen würden – entweder im Auftrag einer amerikanischen Gesellschaft oder auf eigene Rechnung.

Schließlich wird im März 1873 die „Direct United States Cable Company“ (DUSC) gegründet, deren Zweck „die Herstellung einer direkten und unabhängigen Telegraphen-Verbindung zwischen dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Irland und den Vereinigten Staaten von Nordamerika“ ist. „Consulting Director“ wird Werners Bruder William.

Dem Firmennamen zum Trotz zeichnet sich bereits zu Beginn des Projekts ab, dass man mitnichten eine direkte Verbindung zwischen Irland und den Vereinigten Staaten schaffen wird. Stattdessen soll das Hauptkabel – wie die Kabel zuvor – von Irland nach Neuschottland führen, und von dort aus soll ein weiteres Kabel ans amerikanische Festland verlegt werden.

Laut einer heutigen Internetquelle ist der Hauptgrund hierfür, dass die damalige Kabeltechnik eine derartige Direktverbindung gar nicht erlaubt hätte. Die Signale wären aufgrund der großen Entfernung so schwach geworden, dass sie nicht mehr hätten empfangen werden können. Die in den Beständen von Corporate Archives überlieferten Quellen zur Kabellegung schweigen hierzu.

Mit Hindernissen über den „großen Teich“ – Legung des Hauptkabels durch den Atlantik

Mit dem Verlegen des eigentlichen Atlantikkabels wird vermutlich Mitte bis Ende August begonnen. Laut Pole, dem Biografen von William Siemens, sticht die Faraday am 26. August wieder in See und beginnt bei Ballinskelligs Bay, einem kleinen Ort an der Küste von Irland, das Kabel auszubringen. Ab diesem Zeitpunkt ist Werner von Siemens persönlich vor Ort.

Bereits kurz nach Beginn der Legung kommt es zum Unglück, wie er berichtet: „ […] doch als ich heute früh auf meiner irischen Karre bei gewohnt scheußlichem Regenwetter von meinem 16 englischen Meilen entfernten Hotel hier ankam, traf ich lange Gesichter. Es war ein Fehler im Kabel, den das Schiff wieder aufzunehmen versuchte.“

Das Kabel ist gerissen – an einer Stelle, in die wegen ihrer Tiefe der komplette Mount Blanc hätte versenkt werden können. Allein bis der Schleppanker zur Kabelsuche den Grund erreicht, dauert es sieben Stunden. Noch nie ist ein Kabel aus einer solchen Tiefe geborgen worden.

Doch Carl gelingt das Unmögliche: Innerhalb von zwei Tagen kann er das verloren gegangene Kabelende wieder aufnehmen und mit der Legung fortfahren. Werner schreibt erleichtert nach Berlin: „Die in einem Tage durchgeführte Aufsuchung und Reparatur eines Kabels aus so enormen Tiefen (2.580 Faden) ist ein novum in der Legetechnik und wird unseren Ruf fest etablieren!“

Ein Jahr lang Pech und Pannen – Doch dann steht die Verbindung

Das Projekt steht aber weiterhin unter keinem guten Stern. Mehrmals muss die Faraday das Kabel wieder auffischen und reparieren, bis Kohlemangel und stürmisches Wetter die „unglückliche Kabeleskadron“ zwingen, nach Irland zurückzukehren. An eine Aufgabe des Kabels ist jedoch nicht zu denken, da dies einen ungeheuren Prestigeverlust für die Direct United States Cable Company und die Siemens-Brüder bedeuten würde. Bereits Ende Oktober läuft die Faraday wieder aus – und hat wieder Pech. Nahe Neufundland geht das Kabel in einem Sturm erneut verloren, dieses Mal wird auch das Schiff selbst beschädigt.

Wegen der notwendigen Reparaturarbeiten und des dauerhaft schlechten Wetters ist an eine Vollendung der Kabellegung vor Jahresende 1874 nicht mehr zu denken. Erst Anfang April sticht die Faraday wieder in See, und im Juni 1875 gelingt es, erstmals eine Verbindung zwischen Torbay und Ballinskelligs Bay herzustellen. Allerdings arbeitet das Kabel nach wie vor fehlerhaft. Es kommt erneut zu Unterbrechungen, was sich sowohl auf die Kosten als auch auf die Stimmung der Beteiligten ausgesprochen negativ auswirkt. Mehrfach berichtet William an Werner, dass die Aktionäre der Direct United die Ablösung Carls als Projektleiter an Bord des Schiffes fordern.

Sternstunde der Technik – Es ist geschafft!

Mitte August beginnt man erneut mit der Fehlersuche – und dieses Mal schafft es die Besatzung, den Fehler im Kabel zu finden. Anfang September steht die dauerhafte Verbindung zwischen den Stationen in Torbay und Ballinskelligs Bay. Werner ist erleichtert: „Also endlich ist das Kabel fehlerfrei fertig! Gott sei Dank dass dieser Alpdruck vorüber ist.“ Wenig später wird es dem Publikum übergeben, am 15. September 1875 schreibt Carl: „Heute ist der Eröffnungstag! Ich hoffe bald zu hören, wie es geht mit dem Depeschieren.“ Es geht hervorragend: Das Kabel schlägt die Konkurrenz um Längen. Carl berichtet aus London: „Das Kabel arbeitet fortgesetzt gut. Am ersten Tage haben die Stockexchange Leute ein Wettrennen veranstaltet und dabei hat dann die DUS die Anglos [die Konkurrenz] um eine Stunde und mehr geschlagen.“

In seinen „Lebenserinnerungen“ zieht Werner von Siemens im Nachhinein eine positive Bilanz des Projekts: „Diese unsere erste transatlantische Kabellegung war nicht nur für uns außerordentlich lehrreich, sondern führte überhaupt erst zur vollen Klärung und Beherrschung der Kabellegung im tiefen Wasser.“

Und für die englische Tochtergesellschaft von Siemens & Halske ist es ebenfalls enorm wichtig: „Die glückliche Vollendung des amerikanischen Kabels hob das Londoner Geschäft mit einem Schlage auf eine viel höhere Stufe des Geschäftslebens.“

Dr. Florian Kiuntke